Foto: Kathbild
Der auferstandene Jesus begegnet den Jüngern. Ikonenhafte Wandmalerei in der russisch-orthodoxen Kathedrale von Wien.
Österliche Zeugenschaft
Von: Michael Becker | 31. März 2013
„Ihr seid Zeugen dafür“ – so sagt es der auferstandene Herr zu seinen Jüngern damals und auch zu uns heute.
Zeugen dafür soll(t)en sie sein, dass am Karfreitag nicht alles zu Ende war, dass er, Jesus, nach wie vor lebendig ist und dass seine Gedanken und Ideen, seine Worte und Taten immer noch weiterwirken und bis heute Menschen in Bewegung bringen …
„Ihr seid Zeugen dafür“ – dass meine Träume nicht erledigt sind, dass meine Ideale nach wie vor Gültigkeit haben und dass meine Vision vom Reich Gottes immer noch Menschen begeistert und mitreißt …
„Ihr seid Zeugen dafür“ – sagt Jesus.
Und wir fragen uns dieses Jahr an Ostern, im von Papst Benedikt ausgerufenen Jahr des Glaubens, vielleicht: Wie geht das denn überhaupt – Zeuge sein?
Woran merken es die anderen, dass Auferstehung für uns kein leeres Wort ist?
Wie spüren und erleben sie unseren Osterglauben?
Wie erfahren sie etwas von unserer Hoffnung?
Wie nehmen sie überhaupt unser Christsein wahr?“
Hoffentlich ist es nicht so, wie Bert Brecht es in einer seiner (etwas abgewandelten) Geschichten vom Herrn Keuner mit dem Titel „Weise am Weisen ist die Haltung“ provozierend beschreibt:
Zu Herrn K. kam ein Christ in einer wichtigen Glaubensfrage. Sie saßen am Tisch, sprachen und aßen miteinander. Nach einer Weile sagte Herr K. zu dem Christen: „Du gehst gestelzt, du sitzt schlecht, du isst und trinkst ungesund, du atmest nicht frei, du redest verklemmt.“ Der Christ wurde erregt: „Nicht über mich wollte ich etwas wissen, sondern über den Inhalt dessen, was ich sagte.“ – „Es hat keinen Inhalt!“, sagte Herr K. „Ich sehe dich täppisch gehen, und es ist kein Ziel, das du, während ich dich gehen sehe, erreichst. Du redest dunkel und es ist keine Helle, die du während des Redens schaffst. Sehend deine Haltung, interessiert mich dein Ziel nicht.“
Sehend deine Haltung, interessiert mich dein Ziel nicht.
Nicht gescheite Worte, sondern unsere Haltung macht uns zu Oster-Zeugen
Mir sagt das: Nicht noch so gescheite Worte machen uns zu Oster-Zeugen, sondern einzig und allein unsere Haltungen. Nicht kluge Reden machen andere neugierig auf unsere Ziele, auf unsere Hoffnungen und unseren Glauben, sondern unser Verhalten, die Art und Weise, wie wir leben und im Alltag miteinander umgehen.
Sehend deine Haltung, interessiert mich dein Ziel nicht.
Wir könnten mit Bert Brecht noch weiter sticheln und, durchaus selbstkritisch, aufrütteln:
Sehend deine Verschlossenheit, interessiert es mich nicht, wenn du von einem offenen Grab redest und singst: „Da sprengt er Riegel, Schloss und Stein ...“
Sehend deine Freudlosigkeit und Verbissenheit, interessiert es mich nicht, wenn du von der unbändigen Osterfreude der ersten Jünger sprichst, wenn du dein „Halleluja“ singst und „Wir wollen alle fröhlich sein …“
Sehend dein ängstliches Festklammern an die Vergangenheit, interessiert es mich nicht, wenn du erzählst, dass Christus alles neu macht, wenn du singst: „Der Herr erstand in Gottes Macht, hat neues Leben uns gebracht ...“
Sehend deine Haltung, interessiert mich dein Ziel nicht – so hält Bert Brecht durch seinen Herrn Keuner den Christen einen Spiegel vor. Ich meine, es tut uns deshalb gut, uns dieser Provokation zu stellen und zu fragen:
Was wären denn die Haltungen, die dieser Herr K. an uns Christen sehen will?
An welchen Haltungen könnte er denn unseren Osterglauben ablesen?
Und mit welchen österlichen Grundhaltungen könnten wir ihn denn vielleicht auf unsere Ziele neugierig machen?
Darauf wird jeder und jede von uns wohl seine beziehungsweise ihre ganz persönliche Antwort finden müssen. Ich hätte ein paar Ideen und Vorschläge dazu:
Wir könnten zum Beispiel Ostern in den Beinen haben – das heißt für mich konkret: wie Jesus zu den Menschen gehen; den ersten Schritt tun und ihnen unser Entgegenkommen zeigen. Das heißt auch: den aufrechten Gang einüben; geradlinig und aufrichtig bleiben; aufstehen für das Leben und gegen alles, was andere niederdrückt und in die Knie zwingt …
Wie Jesus zupacken, wo unsere Hilfe gebraucht wird
Eine andere österliche Haltung könnte sein: Ostern in den Händen haben – das heißt: wie Jesus zupacken und Hand anlegen, wo unsere Hilfe gebraucht wird. Jemand die Hand entgegenstrecken zur Versöhnung und zum Frieden, auch wenn das alles andere als leicht fällt. Andere trösten und ihnen die Hand auf die Schulter legen. Oder einen, der die Orientierung verloren hat, bei der Hand nehmen und ihn ein Stück seines Weges begleiten …
Wir könnten Ostern auch in den Augen haben – das heißt für mich: wie Jesus andere mit Respekt und Wohlwollen anschauen. Die Augen offen halten und wach bleiben für die Signale der Not, für die stummen Bitten so vieler um Anerkennung, Wertschätzung und Freundlichkeit. Denen dadurch ein Ansehen geben, die von anderen von oben herab betrachtet oder überhaupt nicht wahrgenommen werden.
Und schließlich könnten wir Ostern im Herzen haben – das wiederum heißt: wie Jesus herzlich und offen den Menschen begegnen. Herzhaft und befreit lachen können, humorvoll sein und Freude ausstrahlen – keine oberflächliche Freude, sondern eine „Freude mit Trauerflor“, die Krankheit, Schmerzen, Leid und Tod nicht verdrängt und damit den Karfreitag auch nicht totschweigt.
Sehend diese unsere österlichen Haltungen, könnte sich Herr K. vielleicht für unsere Ziele interessieren, könnte er sagen: Ja, jetzt möchte ich wissen, aus welcher Kraft du lebst, wem du deinen aufrechten Gang, deine helfenden Hände, deinen offenen Blick und dein frohes Herz verdankst. Erzähle mir von deinem Glauben …
Und erst dann können wir Ostern auf unseren Lippen haben – das heißt: erzählen von unserer Hoffnung, reden über Ostern, weitersagen, was die Auferstehung Jesu ganz konkret für uns bedeutet.
Ihr seid Zeugen dafür, dass ich lebe – sagt Jesus.
Die österlichen Haltungen unspektakulär in unserem Alltag leben
Das kann uns nur gelingen, wenn uns Ostern in Fleisch und Blut übergegangen ist, wenn wir Ostern in den Beinen, in den Händen, in den Augen und im Herzen haben; wenn wir diese österlichen Haltungen ganz unspektakulär in unserem Alltag leben und mit Petrus Ceelen (in: So wie ich bin. Gespräche mit Gott, Düsseldorf 1982) ganz bescheiden sagen können:
„Ich bin kein begnadeter Mensch, / der allen alles ist – / vielleicht aber / bin ich für den ein oder anderen / ein Bruder/eine Schwester.
Ich bin kein großes Licht, / das in der Finsternis leuchtet – / vielleicht aber / bin ich für den ein oder anderen / ein kleiner Lichtblick.
Ich bin kein Retter in der Not, / der alle Probleme löst – / vielleicht aber / bin ich für den ein oder anderen / eine kleine Hilfe.
Ich bin kein Märtyrer, / der für seinen Glauben stirbt – / vielleicht aber / bin ich für den ein oder anderen / eine Stütze im Glauben.“