Ständiger Hunger auf Nachschub: Für die Verhüttung einer Tonne Eisenerz werden 400 Quadratmeter Wald gefällt und zu Holzkohle verarbeitet. Fotos: Ursula Meissner/Misereor | |
Lernen im Regenwald: Leticia geht gern zur Schule, aber noch lieber tobt sie durch den Wald. |
Von Daniela Singhal
Fabricios Hobby: durch den Wald toben und Bäume umarmen. Am liebsten lehnt sich der 11-Jährige gegen die wuchtigen Stämme des bis zu 50 Meter hohen Paranussbaumes. „Bäume sind toll“, sagt er. Fabricio ist ein Kind Amazoniens. Er lebt mit seiner Familie im brasilianischen Bundesstaat Pará. Sein Vater Francisco Evangelista Liberato ist Kleinbauer. Für sein Stück Land hat er hart gekämpft. Lange war er ein Opfer des brasilianischen Problems der Landverteilung: Wenigen gehört fast alles, viele haben nichts – und sind machtlos gegen die Interessen der Reichen. In seiner Not fällte Liberato die Bäume, die sein Sohn so gerne umarmt, und verkaufte ihr Holz. Doch dann lehrte man ihn eines besseren.
Die Riesen des Regenwalds werden weniger
Pará liegt im Amazonasgebiet und ist zu einem großen Teil von Regenwald bedeckt. Dieser schrumpft jedoch durch zunehmende Abholzung seit mehreren Jahrzehnten bedrohlich. Ob Paranussbäume, Cupuaçu und Andiroba oder Mahagoni – mehr und mehr schwinden die Bäume des Regenwaldes aus Marabá und Umgebung. Bis zu 60 Meter hoch ragten sie hier einst in den Himmel, zum Teil hunderte Jahre alt, und gehörten zum Wertvollsten, was es – bezogen auf das Klima – für Mensch und Tier auf der Welt gibt. Der Amazonas Regenwald ist ein CO-2-Speicher unbegreiflicher Dimension. Oder heißt es besser: war? Denn die Minengesellschaften und -konzerne, die Profiteure, Banken und Bauern, sie alle rücken dem Wald zu Leibe.
Dabei geht es nicht mehr nur um die Edelhölzer des Waldes. Jegliche Baumart ist bedroht. Die Stahlproduktion im Land floriert und braucht unablässig Nachschub: Für die Verhüttung jeder einzelnen Tonne Eisenerz werden rund 400 Quadratmeter Wald zu Holzkohle verarbeitet. Und viele Bauern verkaufen Holz, wann immer sie Geld brauchen. Es gibt zwar Gesetze, die den Holzeinschlag begrenzen, aber die Kontrollen sind lax. Und so fallen die Bäume. Tag und Nacht hört man die Motorsägen in der Ferne, Tag und Nacht rollen schwere LKW über die Lehmpisten und Schlammpfade, beladen mit meterdicken Baumstämmen. Und mit jedem Baum verschwindet Meter für Meter Regenwald von der Landkarte.
Der Raubbau verändert das Klima
Die Folgen bleiben nicht aus: „Hier regnet es definitiv viel weniger als früher“, meint Sebastião, ein Kleinbauer aus Pará. „Früher war der Himmel stets bedeckt und es regnete täglich, zumindest während der halbjährigen Regenzeit. Alles war auf diesen Regen eingestellt. Heute reißt der Himmel nach einem kurzen Schauer auf, und die Sonne verbrennt, was wir auf den Feldern anpflanzen. Es ist viel schwerer geworden, wir wissen nicht mehr, was wann gepflanzt werden kann“. Sebastião betreibt in dieser Region nur deshalb erfolgreich Landwirtschaft, weil er diversifiziert und sich so vor Ernteausfällen schützt – mit Maniok und Kürbis, roter Beete und Mais, Kaffee und Kakao, Reis und Bohnen. Damit zählt Sebastião zu den Ausnahmen, denn für fast alle hier lebenden Bauern sind Rinder die Regel. 63 Millionen Rinder weiden zurzeit in Amazonien! Der steigende Fleischkonsum hatte jahrelang satte Gewinne versprochen, und Brasiliens Regierung hat seit den 1960er Jahren mit der Ansiedlung von Landlosen in der Region die Abholzung des Regenwaldes und die Umwandlung der Flächen für die Rinderzucht gezielt gefördert. Ein Fünftel des Amazonas-Regenwaldes sind seitdem verschwunden, weitere 20 Prozent stark gefährdet. Wo einst der Wald stand, grünen jetzt die Weiden, säuberlich eingezäunt für die Rinderzucht.
Es ist ein Kampf David gegen Goliath
„Fortschritt wäre, wenn die Kleinbauern von der Rinderzucht lassen und stattdessen nachhaltige Agroforstwirtschaft betreiben“, schimpft Savio Alvez, Agrarexperte von der „Comissão Pastoral da Terra (CPT)“. Das ist eine Einrichtung der katholischen Kirche, die sich in Brasilien oft als einzige um die Probleme der einfachen und armen Leute auf dem Land kümmert. Viele können nur mit Hilfe eines CPT Rechtsanwaltes der ungerechten Landverteilung und Arbeit als Tagelöhner bei den Großgrundbesitzern entgehen. Diese wollen den unerschöpflichen Reichtum an Ressourcen in Brasilien schnellstmöglich versilbern – ohne Rücksicht auf Verluste. Kleinbauern mit ihren Familien werden deshalb für gigantische Minenprojekte oder geplante Stauseen zur Energiegewinnung von ihrem Land vertrieben oder zwangsumgesiedelt. In ihrer Not werden sie häufig zu Tagelöhnern, schuften wie Sklaven auf den Farmen der Großgrundbesitzer und erhalten kaum Lohn. Diesen müssen sie fast vollständig für teure Nahrungsmittel ausgeben, die sie ausschließlich beim Besitzer einkaufen können. So verschulden sie sich immer mehr und geraten in immer größere Abhängigkeit von ihrem Herrn.
Aus Zerstörern werden Hüter des Waldes
CPT ermuntert die Bauern ihre Rechte einzufordern und lehrt sie, die Ressourcen des Waldes zu nutzen, statt sie zu zerstören. Fabricios Vater hat so gelernt, dass die Früchte des Paranussbaumes seine Existenz ebenso sichern können wie dessen Holz. Er besitzt wieder Land und bewirtschaftet den Wald als Waldbauer, anstatt ihn zu fällen. Er und seine Familie leben in einer Siedlung für Agrobauern zwei Stunden von Marabá entfernt, einer Stadt im Nordosten Parás. 500 Familien wohnen hier.
Auch Fabricios Freundin Leticia, das Mädchen des Misereor-Fastenaktionsplakats (vgl. Seite 7 der Printausgabe des „Paulinus“). Sie lebt „im Agro“, zusammen mit ihrer jüngeren Schwester Dorothy und ihrer Mutter Claudialice. Claudialice hat die Landwirtschaftsschule besucht und einiges über nachhaltige Anbaumethoden, Agroforstwirtschaft und den Schutz des Waldes gelernt. In der von den Bauern mit Hilfe von CPT gegründeten Baumschule „Lebendiger Wald“ setzt sie sich aktiv für den Schutz des Amazonas ein. Ihre Kinder sollen später auch einmal die Landwirtschaftschule besuchen.
„Der Wald ist ihre Zukunft, sie sollen lernen, ihn zu bewahren“, sagt sie. So haben ihre Tochter Leticia und ihr Freund Fabricio schon früh gelernt, dass der Wald geschützt werden muss: „Ich liebe den Wald“, sagt Leticia. „Ich liebe den Wald und den Fluss und vor allem die kleinen Äffchen in den Bäumen.“
Brasilien Brasilien ist das fünftgrößte Land der Erde mit knapp 200 Millionen Menschen. Es erstreckt sich über die Hälfte des südamerikanischen Subkontinents. Die Bevölkerung setzt sich aus 215 Ethnien zusammen; knapp die Hälfte von ihnen sind Weiße europäischer Herkunft. Hinsichtlich seiner Wirtschaftskraft liegt Brasilien im weltweiten Vergleich gegenwärtig auf Platz neun. Doch trotz jüngerer wirtschaftlicher Erfolge klafft in Brasilien die Schere zwischen Arm und Reich extrem weit auseinander. Jeder zehnte brasilianische Haushalt muss monatlich mit weniger als 60 Reais, umgerechnet rund 25 Euro, auskommen. Zehntausende arbeiten in Schuldknechtschaft und anderen der Sklaverei ähnlichen Verhältnissen. « Zurück zum Artikel |